Ulrich Schmied, Poet des Hammers

ULRICH SCHMIED

eisen bildhauer

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Der Tetenbüller Wiesenvogel

In den späten 80er Jahren des letzten Jahrhunderts begann der damals noch junge Schmied, Hühner zu züchten. Neben seiner Schmiedewerkstatt im friesischen Almdorf, circa zwanzig Kilometer von Tetenbüll entfernt, baute er sich damals einen feudalen Stall. Vorwerkhühner, Sussexhühner, Antwerper Bartzwerge und Holländische Zwerghühner waren die ersten Rassen, welche bei ihm ein neues Zuhause fanden. Das Federvieh entwickelte sich prächtig und der Schmied hatte jeden Tag Freude an den vielen Eier, die sie legten. Außerdem erfreute er sich an der pickenden Herde, die lustig den Garten rund um die Werkstatt bevölkerte. Oft saß er auf der Bank im Hühnerhof und verfolgte das rege Treiben der zweibeinigen Gesellen.

Schnell hatte er ein Lieblingshuhn. Er nannte es „Erwin”, obwohl ein Huhn ja eigentlich einen weiblichen Namen haben sollte. Erwin war besonders hübsch, ein Sussexhuhn, weißes Gefieder, roter Kamm und eine hübsche, schwarze Halskrause, einfach ein Superhuhn. Erwin ist sehr lebhaft gewesen und flog das eine und das andere Mal über den Zaun und versuchte die naheliegende Umgebung zu erkunden. Abends hat „sie” aber immer den Weg in den heimischen Stall zurück gefunden.

Eines Tages - der Hühnervogel war wieder in der Umgebung unterwegs - fing es fürchterlich zu regnen an. Einer Sintflut gleich, schüttete es aus dem Himmel über der Werkstatt. Überall bildeten sich kleine Seen und Teiche. Als es spät am Abend endlich aufhörte zu regnen, war die Landschaft überflutet. Das arme Huhn saß auf einer kleinen Insel und konnte unmöglich zurück in den Stall auf dem Schmiedehof. Es war gefangen. Einsam auf der Insel wie vielleicht Robinson Crusoe. Ein wenig Gras und ein paar Würmer hatte die Erwin noch zu picken. Eine lange, dunkle Nacht lag vor dem einsamen Huhn.

Am Morgen – Hühner stehen ja früh auf – wurde Erwin vom ersten Sonnenstrahl geweckt. Das Huhn reckte und streckte sich und fand sich auf seiner einsamen Insel wieder. Überall Wasser, nur ab und an war eine andere kleine Insel zu sehen. Hoffnungslos die Lage. Wie sollte so ein kleiner Vogel von hier nach Hause kommen? Schwimmen kann ein Huhn ja nicht. Erwin schaute nach rechts und nach links, ob irgendwo etwas angeschwommen kam. Und ja, das Huhn hatte Glück, ein großer, alter Balken trieb nah an seiner Insel vorbei. Zwei, drei Flügelschläge und Erwin saß auf dem Balken, ließ sich treiben und wusste natürlich nicht, wohin die Reise ging. Das Stück Holz trieb tagelang von Almdorf über Schobüll, Husum, Simonsberg, Uelvesbüll bis nach Tetenbüll Spieker. Es waren wohl an die vierzehn Tage, die Erwin auf dem Balken sitzend verbrachte. Hier in der Nähe von Wasserkoog ging das schaurige Wasser langsam zurück und der gefiederte Zweibeiner konnte endlich auf trockenes Land gehen.

Es war ein sonniger Tag im März, Vorfrühling, neues Gras sprieß aus der Erde und der Vogel konnte endlich wieder fressen. Das Huhn fand gut genährte Würmer und schlug sich den Bauch voll. Weit von der Heimat weg, fühlte sich Erwin trotz alldem recht wohl. Das Huhn war froh, wieder trockenen Fußes über die Wiesen zu laufen. Schnell hatte es eine Unterkunft in einem Wiesenknigg gefunden, wo es erstmal gut untergekommen war.

tetenbüller wiesenvogel

Erwin wurde geweckt, schrille Laute „Gurr, Gurr, Hicks, Hicks, Schlumm, Schlumm” ... merkwürdige Töne erfüllten die morgendliche Stille über dem Wiesenknigg. Das Huhn öffnete die Augenlider und erblickte einen sonderbaren Artgenossen, einen Vogel, langbeinig, seltsam aussehend. Drei Federn ragten aus dem Ende des Vogelkörpers, ein roter, langer Schnabel, ein komischer Vogel! Erwin, das Huhn, nahm allen Mut zusammen und sprach den komischen Vogel an: „Wer bist du? Wohnst du hier? Bist du gefährlich?” Der Andere war verblüfft. Ein Sussexhuhn – weiß mit rotem Kamm spricht ihn an! „Auch ich bin ein Vogel, bin hier zu Hause, Storchenvogel nennt man mich, weil ich so lange Beine habe. Die brauche ich aber auch, um über das hohe Gras hier in Tetenbüll gucken zu können.” Die beiden Vögel schauten sich in die Augen und fanden sich sehr sympathisch, ja – man könnte sagen – es war „Liebe auf den ersten Blick”.

Sie rückten zusammen und die Wärme von einem ging auf den anderen über. Zwei volle Tage wärmten sie sich, lagen zusammen auf einer Wiese in Tetenbüll, erzählten sich alles über einander, freuten sich, dass sie sich gefunden hatten. Sie bauten ein Nest und Erwin, die Hühnerfrau, legte drei Eier in das runde Nest. Zuerst waren die Eier weiß, dann wurden sie gelb und schließlich glänzten sie golden. Drei goldene Eier auf einer Wiese in Tetenbüll. Die Kirche war nicht weit – kurz hinter dem Haus Peters wird es wohl gewesen sein. Ende April schlüpften die Küken – der erste, der zweite und der dritte Trtrnbüller Wiesenvogel - entstanden durch ein Huhn vom Hühnerhof des Schmieds und einem komischen Vogel aus der Tetenbüller Marsch.

Diese Vögel vermehren sich seit dem jährlich aber immer nur mit richtig goldenen Eiern. Der Tetenbüller Wiesenvogel!

Solltet ihr jemals solch ein goldenes Ei finden, hebt es auf, steckt es in eure Tasche, brütet es aus und das Glück von Tetenbüll bleibt für immer in euch.

Der alte Schmied hat es erlebt.


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